Lieferengpässe bestimmen Preise und Volumen

 

René Mitteregger, Datenspezialist bei auto-i-dat ag

 

René Mitteregger, Datenspezialist bei auto-i-dat ag, rechnet mit einem ausserordentlichen Teuerungsschub aufgrund der nach wie vor bestehenden Lieferengpässe, wagt einen Blick ins zweite Halbjahr – und sagt, wer in der Krise profitiert hat.

René Mitteregger, die Covid-19-Pandemie hatte verschiedene Auswirkungen auf den Handel. Wie stark sind diese heute noch zu spüren?
René Mitteregger: Die Auswirkungen hallen nach. War am Anfang der Pandemie die Stimmung, gerade beim Neuwagenkauf, am Boden, sind nun Lieferschwierigkeiten an der Tagesordnung. Viele Hersteller klagen über Lieferengpässe. Vor allem Komponenten für Fahrassistenzsysteme scheinen Probleme zu bereiten. Aber auch die Rohstoff-Verknappung dürfte in nächster Zeit zum Thema werden. Hier ist mit einer ausserordentlichen Teuerung zu rechnen.

Im vergangenen Jahr geriet das sonst «normale» Verhältnis zwischen Neuwagen und Occasionen (1:2,6) arg durcheinander. Wo stehen wir aktuell?
Das ist auch jetzt noch so. Auf eine Neuwangenzulassung kommen aktuell 3.21 Halterwechsel.

Was bedeutet dieses (neue) Verhältnis für den Markt?
Das heisst, dass der Occasionshandel noch immer sehr gut läuft. Im ersten Halbjahr fanden 400'104 Gebrauchtwagen einen neuen Besitzer. Das ist ein fantastischer Wert. Dieser wurde im Vergleich nur einmal übertroffen, nämlich im Rekordjahr 2019.

Als aufmerksamer Beobachter haben Sie unterschiedliche Strategien bei den Händlern beobachtet. Wer hat von der Covid-Krise profitiert – und warum?
Ganz klar profitiert haben jene Händler, die ihre Lager frühzeitig aufgebaut hatten. Vor allem die Occasionshändler konnten bei hohen Verfügbarkeiten profitieren.

Registrieren Sie eine Zunahme bei den Importen von Neu- und Gebrauchtwagen?
Parallel sowie Grauimporte haben zurzeit noch keinen sehr hohen Stellenwert. Da die Lieferengpässe bei den Herstellern alle Länder betrifft, wäre dieser Umweg nur wenig zielführend.

Sie haben bereits kurz nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie unter anderem auch auf die Auswirkungen bei den Handänderungen hingewiesen, nämlich dass es zu einer Verknappung kommen wird. Gab es damals Reaktionen auf Ihre Voraussage?
Einige Händler hatten dies ebenfalls erkannt und sich noch rechtzeitig mit guten Occasionen eingedeckt. Das hat sich dann auch bezahlt gemacht.

Für Ihre Analysen stehen Ihnen verschiedenste Datenbanken zur Verfügung. Wie oft sprechen Sie mit Händlern an der Front?
Fast täglich. Wir haben mit unseren Kunden einen sehr engen Kontakt und erfahren so auch die aktuelle Lage an der Front sehr zeitnah.

Betrachten wir die Zahlen bei den Neuzulassungen per Ende Juni fällt auf, dass inzwischen knapp zweieinhalb Mal so viele Personenwagen mit einem alternativen Antrieb verkauft werden wie Diesel. Gegenüber der Periode von Januar bis Ende Juni verliert der Diesel um knapp 20 Prozent. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Hybrid-Antriebe werden ebenfalls zu den Alternativen gezählt. Ob nun Plugins oder normale Hybriden, sie machen das Gros der alternativ angetriebenen Fahrzeuge aus (48'555 alternative Antriebe ausser Diesel und Benzin, darunter sind 25'698 HEV und MHEV Hybriden und 10'356 PHEV und REX Plug-In Hybride). Hier wird oft nicht daran gedacht, dass diese wohl auch noch einen Verbrenner an Bord haben. Dass der Diesel an Marktanteilen verliert, ist nicht unbedingt dem Umstand geschuldet, dass er per se nicht mehr gefragt ist, sondern viel mehr, dass fast alle Hersteller ihre Dieselmotorisierungen auf wenige Varianten zurückgefahren haben.

Was sollte ein Händler unbedingt beachten, wenn er heute einen Diesel als Occasion in Zahlung nimmt? Wie lange kaufen die Automobilisten noch Dieselfahrzeuge bzw. wie lange lassen sie sich noch verkaufen?
Totgesagte leben länger… . Der Diesel wird als Occasion noch lange gehandelt werden. Auch und gerade, weil er einige Vorteile vereint. Er verbraucht in der Regel weniger Treibstoff und ist auch sonst im Unterhalt nicht teurer als ein Benziner. Wenn der Händler moderne Diesel z.B. Euro 6 und neuere einkauft, sehe ich keinen Grund, warum dieser nicht noch einige Jahre gut verkauft werden könnte.

Hat die Entwicklung beim Diesel Auswirkungen auf die Berechnung des Restwerts? Hat auto-i-dat hier in den vergangenen Monaten bereits korrigierend eingegriffen?
Korrekturen, wo überhaupt notwendig, wurden bereits vor einiger Zeit gemacht. Wie gesagt, wird der Diesel als Occasion noch immer gehandelt und der Rückgang bei den Neufahrzeugen liegt eher an der reduzierten Verfügbarkeit, als am Kaufwillen der Neuwagenkäufer.

Die EU hat vor wenigen Tagen vorgestellt, wie sie die CO2-Grenzwerte weiter absenken wird. Der Verbrennungsmotor wird damit weiter unter Druck kommen, was wohl auch das Ziel ist. Was heisst das für den Händler?
Noch immer lebt der Handel zu einem beachtlichen Teil vom Verkauf von Verbrennungsmotoren. Dies wird sich auch in nächster Zeit nicht gewaltig ändern. Natürlich geht der Trend zu Hybriden. So werden die nach WLTP gemessenen Werte verbessert.

Wenn Sie selbst Händler wären: Wie würden Sie sich jetzt aufgrund all Ihres Hintergrundwissens verhalten?
Nicht in Panik verfallen. Natürlich werden die neuen Technologien früher oder später beim Handel häufiger. Eine gute Vorbereitung ist, sich schon jetzt mit diesen Technologien auseinander zu setzen.

Blicken wir noch auf die zweite Jahreshälfte: Wie wird sich der Neuwagenhandel bis Ende Jahr entwickeln?
Der Neuwagenhandel wird sich sicherlich nur zögerlich erholen. Die Lieferengpässe werden sicherlich auch in die zweite Jahreshälfte reichen und den Neuwagenmarkt weiterhin etwas bremsen.

Und wie sieht es bei den Handänderungen aus?
Ich rechne mit einem weiterhin guten Occasionsjahr. Die Gefahr könnte sein, dass eben wegen fehlender Neuwagen junge Occasionen zur Mangelware werden. Das könnte dann auch den Occasionshandel etwas bremsen.