Pausenstand: 5:1 für Elektro

Wenn die Werbung für Autos ein Indikator für die aktuelle Entwicklung ist – und das ist sie mit Sicherheit – dann erleben wir aktuell auf eine sehr direkte und nicht mehr nur zögerliche Art und Weise den Übergang zu einer neuen «Normalität». Gesehen im italienischen Fernsehen in der Halbzeitpause der Fussball-Partie zwischen Frankreich und Deutschland am 15. Juni. Im italienischen Fernsehen, hier am Beispiel von RAI 1, wird besonders intensiv für Autos geworben. In besagter Halbzeitpause wurde innerhalb von zehn Minuten für sechs Modelle verschiedener Marken geworben – fünf davon waren reine Elektrofahrzeuge. Das ist die neue «Normalität».

Die Dynamik, mit der sich dieser Wandel vollzieht, ist eindrücklich: Allein im Mai wurden in der Schweiz mit 688 Einheiten knapp 180 Prozent mehr reine Elektrofahrzeuge verkauft als im Vergleich zum Vorjahresmonat; kumuliert von Januar bis Ende Mai ist das eine Verdoppelung im Vergleich zum Vorjahr (4'341). «Elektro-Fahrzeuge haben durchaus ihre Daseinsberechtigung», analysiert René Mitteregger, Datenspezialist bei auto-i-dat ag. Für gewisse Einsatzzwecke sei das elektrisch betriebene Fahrzeug allen andern Konzepten überlegen. Dass in dieser Entwicklung eine gewisse «Normalität» eingekehrt ist, zeigen laut René Mitteregger auch die steigenden Standzeiten bei den gebrauchten elektrischen Personenwagen. Zu beachten sei, dass die Hersteller laufend innovative Produkte auf den Markt bringen. Ausserdem kombinieren viele Hersteller den Elektroantrieb mit konventionellen Antrieben. «Das ist nicht nur effektiv, sondern auch clever», sagt Mitteregger, weil ein solches Fahrzeug die Vorteile eines elektrisch mit dem eines konventionell angetriebenen Fahrzeuges verbinde. Die Zahlen bestätigen das eindrücklich: Noch mehr als reine elektrische Fahrzeuge wurden in der Schweiz Hybrid-Modelle (HEV und MHEV) verkauft – 20’410 kumuliert per Ende Mai.

Tesla auf dem Absenkpfad?
Eine gegenläufige Entwicklung vollzieht aktuell der bisherige Star der Elektromobile: Tesla verkaufte im Mai «nur» noch 143 Einheiten, knapp 20 Prozent weniger als noch vor einem Jahr. Kumuliert steht man per Ende Mai für das laufende Jahr bei 975 Einheiten, knapp ein Drittel tiefer als zum selben Zeitraum des Vorjahres. Für eine Erklärung blickt René Mitteregger kurz zurück: Waren die Zulassungszahlen im Jahr 2018 mit 1'463 neu zugelassenen Fahrzeugen noch überschaubar, verzeichnete Tesla in den Jahren 2019 und 2020 einen beeindruckenden Zulassungsschub, als die Neuzulassungen 2019 mit 6'061 (+314.3%) und 2020 mit 6'045 Einheiten förmlich explodierten. «Dass die grosse Anzahl an Neuzulassungen kein Zufall war, hatten wir bereits Anfang 2019 prophezeit», sagt Mitteregger. Tesla sei in den vergangenen Jahren einen im Neuwagenmarkt bisher nicht bekannten Weg gegangen: Sie liessen Neufahrzeug-Reservationen schon lange vor der Lancierung zu. Dies hatte den Effekt, dass viele Fahrzeuge bestellt, jedoch nicht ausgeliefert wurden. Die Auslieferung in der Schweiz fand dann ab Februar 2019 statt. «Dass dieser Aufschwung nur von kurzer Dauer sein würde, war klar», sagt Mitteregger, «denn die Bestellungen waren nach 2 Jahren ausgeliefert.» Ob weiterhin Bestellungen gesammelt werden, könne man nicht sagen. Fakt ist, dass sich die Neuzulassungen aktuell auf einem eher tiefen Niveau eingependelt haben.

Mit ein Grund dafür sind die «Risse», die sich im bisher so perfekten Bild der Marke bilden. Ein absolut lesenswerter Test von «auto motor und sport» in Heft Nr. 10 (22. April 2021) kommt für die Hype-Marke zu sehr ernüchternden Erkenntnissen – das Model Y bildet im Vergleich mit fünf anderen Konkurrenten mit 534 von 900 möglichen Punkten mit deutlichem Abstand das Schlusslicht im Test. Schuld daran sind Unzulänglichkeiten wie «spektakulär schlecht funktionierende Bedienung», «Verarbeitungsmängel», «unbequeme Sitze», «flatternde Motorhaube», «bolziges Fahrwerk» oder «amateurhafter Autopilot», um nur ein paar der bemerkenswertesten Testergebnisse zu zitieren. Gewonnen hat diesen Test übrigens der BMW iX3 mit deutlichem Vorsprung. Dazu passt, dass der ehemalige BMW-Chefvolkswirt und aktuelle Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation in München, Dr. Helmut Becker, auf die Frage, ob Tesla irgendwann eine Übernahmekandidat sei, mit der Gegenfrage antwortet: «Was heisst irgendwann?»