«Die mangelnden Occasionen werden uns noch Jahre beschäftigen»

Während sich der Verkauf von Neuwagen aufgrund von Lieferschwierigkeiten bei einzelnen Komponenten weiterhin nur zögerlich erholt, läuft der Handel mit Occasionen weiter auf Hochtouren. Die zunehmende Verknappung wird ihre Spuren noch jahrelang hinterlassen, sagt René Mitteregger, Datenspezialist bei auto-i-dat ag.

Trotz eines guten Aprils stehen wir bei den Immatrikulationen kumuliert seit Anfang Jahr gegenüber dem Schnitt seit 2000 um knapp 20 Prozent zurück. Entwickelt sich der Neuwagenmarkt so, wie erwartet?
René Mitteregger: Ja, es war zu erwarten, dass der neuerliche Lockdown mit den geschlossenen Ausstellungsräumen einen ähnlichen Einfluss auf die Verkaufszahlen hat wie vor einem Jahr. Dazu kommt, dass viele Hersteller kurzfristig nicht liefern können. Meist liegt das jedoch an den Zulieferern, die gewisse Komponenten nicht liefern und darum Autos schlicht nicht fertig gebaut werden können.

Was muss konkret passieren, damit sich der Markt endlich normalisiert?
Wir, und damit meine ich die ganze Welt, müssen zur Normalität zurückfinden. Dann werden die Händler ihre Verkaufsräume offen halten können und die bestellten Fahrzeuge können auch geliefert werden. Einige Hersteller überlegen sich schon jetzt, die Beschaffungswege wieder kürzer zu halten und mehr selbst zu entwickeln. So wären sie weniger von Zulieferern abhängig und könnten Engpässe schneller überbrücken.

Bemerkenswert sind die anhaltenden Zuwächse bei den Elektrofahrzeugen und den Plug-in-Fahrzeugen. Praktisch jeder sechste Neuwagen kann elektrisch geladen werden. Kann man sagen, dass wir hier bereits eine «neue Normalität» haben?
Ja, das ist die neue Normalität. Mit dem neuen Testzyklus WLTP sind die Hersteller und Importeure auf den Verkauf von Elektrofahrzeugen und Hybriden angewiesen. Anders sind die immer strenger werdenden CO2-Vorgaben nicht zu erreichen. Mittlerweile bietet beinahe jeder Hersteller ein oder mehrere Elektrisch oder mit Hybrid angetriebene Fahrzeuge an.

Auf der anderen Seite sind die Neuimmatrikulationen im CNG-Bereich seit Monaten deutlich rückläufig? Warum?
Die Schweiz war nie ein CNG-Land. Das mag daran liegen, dass die Abdeckung mit Tankstellen nicht so gross ist. Aber auch der Gedanke, dass Gas getankt wird, mag den einen oder anderen Käufer abhalten. Vielen Käufer ist Gas schlicht und einfach nicht geheuer.

Aus dem Covid-Jahr 2020 fehlt ein Viertel der Autos. Inwiefern spürt das der Markt heute noch?
Es fehlen gute Occasionen. Die Occasionsplätze werden zusehends leerer. Wenn 25 Prozent weniger Neuwagen gekauft werden, kommen weniger Occasionen auf den Markt. Und was noch schlimmer ist: In 4 Jahren, wenn diese Neuwagen als Occasion auf den Markt zurückkommen, fehlen dann halt 25 Prozent bei den 4-jährigen Occasionen.

Der Occasionsmarkt präsentierte sich 2020 besonders aktiv. Welche Auswirkungen hatte der erneute Lockdown und wie vital ist der Occasionsmarkt aktuell?
Der erneute Lockdown hatte beinahe keinen Einfluss auf den Occasionsmarkt. Occasionen wurden trotz allem gehandelt und auch die Zahlen des ersten Quartals sprechen für sich: Im ersten Quartal 2019 wurden 197'301 Occasionen gehandelt, ein Jahr später 182'143 und 2021 200'448. Die Zahlen sprechen auch hier eine eindeutige Sprache.

Steigt das durchschnittliche Preisniveau nach wie vor oder ist der Markt weniger überhitzt?
Die Preise bleiben noch relativ stabil. Einige Händler erkennen aber den Mangel an neuen Occasionen und erhöhen ihre Angebotspreise.

Nicht klar war, inwiefern der zunehmend ausgetrocknete Occasionsmarkt zu verstärkten Aktivitäten im Import führen würde.
Ja, bei Mangel an Neu- und Gebrauchtwagen und damit allenfalls steigenden Preisen machen Direktimporte zunehmend Sinn. Wir können aber feststellen, dass der Direktimport trotzdem nur leicht zugenommen hat.